Berufswahl: Wer will denn heute noch Erzieher /in werden???
Wochenenden eignen sich ja bekanntlich sehr dafür, mal Tabula Rasa im häuslichen Chaos zu schaffen. Bei einer solchen Aktion fiel mir doch tatsächlich mein Aufsatzheft aus der zweiten Klasse in die Hände. Thema: „Was ich einmal werden möchte!“ Und da stand in Zweitklässler-Schrift: „Wenn ich groß bin, möchte ich Kindergärtnerin werden!“ Zu diesem Zeitpunkt wusste ich natürlich noch nicht, dass dieser Beruf einmal Erzieher /in heißen würde.
Beide Bezeichnungen finde ich nach all den Jahren immer noch unpassend, denn wir pflanzen weder Kinder an, noch erziehen wir sie. Letzteres sollte die Aufgabe der Eltern sein.
Von Erzieher /innen wird viel erwartet
Wir Erzieher /innen haben als pädagogische Fachkräfte eine ganz andere Aufgabe und tragen vor allem viel Verantwortung. Und die Herausforderungen im Kindergarten-Alltag werden immer schwieriger. Kein Wunder, dass wir einen Fachkräftemangel haben, denn wer möchte sich denn dem komplexen Aufgabenbereich noch stellen?
Damals schrieb ich meinen Berufswunsch mit der gleichen Überzeugung und Begeisterung, mit der ich 15 Jahre später meine Ausbildung begann. Und meine Begeisterung ist bis heute geblieben. Doch die wurde immer wieder auf die Probe gestellt. Und nicht, weil die Kinder schwieriger wurden, wie viele behaupten. Tatsache ist, dass sie häufig keine Kinder mehr sein dürfen, sondern „funktionieren“ müssen. Das hat mir schon die eine oder andere Mama rückgemeldet. Nein, das „Außenherum“ ist einfach Höchstleistung für uns Erzieher /innen und diese möchte ich kurz erläutern:
Erzieher /innen sollen…
- Kindern Nähe und Bindung vermitteln, ohne in Konkurrenz zu den Eltern zu treten und die Gratwanderung der perfekten Nähe und Distanz einhalten. Dabei müssen sie darauf achten, keine Klischees zu bedienen und niemandem zu nahe zu treten.
- Kinder für die Zukunft vorbereiten und sie auf dem Weg zu mündigen Menschen begleiten. Dabei sollen sie alle Erziehungsstile der jeweiligen Eltern mit einbinden, um sie nicht in Loyalitätskonflikte zu bringen. Ein ständiger guter Austausch ist also nötig, auch wenn dafür eigentlich die Zeit fehlt.
- Kinder ermutigen, Konflikte selbst auszutragen und dabei wertschätzend miteinander umzugehen. Die Kinder sollen so frei wie möglich und so kontrolliert wie nötig von uns begleitet werden. Und dabei dürfen wir niemals unsere Aufsichtspflicht verletzen.
- Kinder gut und objektiv beobachten, professionelle Entwicklungsberichte formulieren und die Ergebnisse den Eltern wertschätzend vermitteln, auch wenn es herausfordernd ist.
- auch in Krisen und bei großer Lautstärke alle Herausforderungen mit Freude meistern und immer ruck, zuck aushelfen, wenn Not am „Mann“ ist. Dabei sollen Erzieher /innen immer fröhlich und motiviert sein, auch wenn der oder die eine oder andere vor Erschöpfung schon kurz vor dem Umfallen ist.
Pädagogische Fachkraft: ein Beruf mit hohen Anforderungen
Es ist immer noch die Rede von Bastel- und/oder Kaffeetanten, auch wenn es inzwischen auch beim Letzten angekommen sein muss, dass dieser Beruf alles abverlangt: große Resilienz, viel Empathie, wertschätzende Haltung, gutes Immunsystem, Kreativität. Und vor allem: Nerven wie Drahtseile! Aber leider hatte man die Chance nicht genutzt, diesem Beruf in schwierigen Zeiten wie Corona endlich den Stellenwert zu geben, den er verdient. Stattdessen wurde dem Fachkräftemangel damit begegnet, zwei Nichtfachkräfte mit einer Fachkraft gleichzustellen. Welch niederschmetternde Entwicklung für eine Fachkraft mit vierjähriger Ausbildung! Versuchen Sie einmal einen Friseursalon zu eröffnen und erfolgreich zu führen ohne FriseurmeisterIn zu sein …
Erzieher /in: ein Beruf mit Herz und Verstand
Wir begleiten Kinder bis zu zehn Stunden am Tag und prägen sie in ihren wichtigsten Jahren. Diese Kinder sind unsere nächste Generation, unsere Zukunft. Diese Verantwortung ist so groß und so anspruchsvoll, dass ich gut verstehen kann, dass viele jungen Menschen unter den aktuellen Bedingungen den Beruf ErzieherIn nicht mehr erlernen und ausüben möchten. Trotzdem wünsche ich mir sehr, dass dieser wunderschöne Beruf wieder attraktiver erscheint. Dass SchülerInnen im Aufsatz schreiben: „Wenn ich groß bin, möchte ich Erzieherin werden“. Denn dieser Beruf ist auch der mit den meisten Erfolgserlebnissen und großer Herzenswärme. Und das müssen wir uns unbedingt erhalten!
Ihre Cornelia Görres
Leiterin Oberlin-Kindergarten